#5 Fachkräftemangel à la carte
Ich war schockiert als ich nach einem Vorstellungsgespräch nach Hause kam! Was war da passiert? Hatte ich mich nicht genügend vorbereitet? Die Absage kam prompt am nächsten Tag. Ich hatte schon einige Vorstellungsgespräche und weiß, dass eine gute Vorbereitung wichtig ist. Abgesehen von der Stellenbeschreibung auch etwas über das Unternehmen, seine Entstehung, Produkte und/oder Dienstleistungen zu wissen. Im Vorstellungsgespräch werden sicher gezielt Fragen gestellt, auf die man keine Antwort geben kann, um zu testen, wie man mit Stress umgeht. Dabei ist ein Leitsatz von mir: Wahrheit ist Klarheit. Was bringt es, sich hier zu verbiegen?
Ich hatte mich für eine Stelle im Qualitätsmanagement in der Medizintechnik beworben.
Allerdings wunderte ich mich von Anfang an, warum neben dem Geschäftsführer auch die Leiterin des Einkaufs daran teilnahm. Was nahelegte, dass es in der Einkaufsabteilung die Stelle zu besetzen gab.
Ich hätte die erforderlichen Qualifikationen für den Einkauf, begann der Geschäftsführer. Ich war irritiert über diese Aussage. Schon als ich ankam war am Empfang den Mitarbeitern unklar, ob ich hier oder bei der Zweigstelle das Vorstellungsgespräch hätte. Die Adresse stimmte, zu der ich kommen sollte. Doch für den Einkauf hatte ich mich nicht beworben. Vermutlich handelt es sich um eine Schnittstelle zwischen Einkauf und Qualitätsmanagement. In der Stellenanzeige stand nichts dergleichen. Mit diesen Verwirrungen starteten wir in das Vorstellungsgespräch, das zunächst angenehm war. Ich unterhielt mich ausschließlich mit dem Geschäftsführer, der die Fragen stellte. Die Leiterin des Einkaufs hörte dem Gespräch zu.
Über die üblichen allgemeinen Fragen zu meinem Lebenslauf und Qualifikationen kamen wir zur Stellenanzeige. In der Stellenanzeige war eine Qualifikation als „Vorteil“ und nicht als „zwingend erforderlich“ beschrieben. Dieser „Vorteil“ war für die zu besetzende Stelle und auf Nachfragen beim Geschäftsführer ein KO-Kriterium. Meiner Meinung nach war dieses Kriterium unpräzise definiert und beschrieben. Somit bot es Raum für ARD – Annahmen, Rätsel und Deutungen. Also genau das Gegenteil was jedes Qualitätsmanagementsystem fordert! Die Stellenbeschreibung und Stellenanzeigen müssen sich inhaltlich decken, damit Werber und Bewerber wissen was sie voneinander möchten bzw. erwarten. Was sind Qualifikationen die (zwingend) mitgebracht werden müssen? Welche Qualifikationen kann man oder darf man lernen, um sich weiterzuentwickeln?
Die Frage ist nicht was ich bisher weiß, sondern wohin ich mich entwickeln möchte.
Es ist schon chronisch in Deutschland, dass Bewerber meistens retrospektiv betrachtet werden. Ich glaube, dass ist ein Grund für den Fachkräftemangel
den wir uns à la carte bestellen.
Oder es mit den Worten von Bernard Shaw zu sagen:
Life isnt’t about finding yourself. Life ist about creating yourself.
Es gibt ein ganzes Bündel an möglichen Lösungen und Maßnahmen, um Fachkräfteengpässe aufzulösen bzw. einen Fachkräftemangel gar nicht erst entstehen zu lassen. Anbei ein paar Möglichkeiten wie es funktionieren könnte.
Auf dem Arbeitsmarkt gilt es, zahlreiche Ressourcen zu erschließen, die bisher noch nicht ausreichend eingebunden sind. Hier schlummern Potenziale,
die es zu heben gilt!
Um auf die Ressourcen von Frauen zurückgreifen zu können, müssen Familie und Beruf besser vereinbart werden können, etwa durch flexiblere Arbeitszeitgestaltung, durch die Möglichkeit von Remote Work oder durch das Angebot einer Kinderbetreuung im Unternehmen.
Ältere Fachkräfte müssten zur Rückkehr bewegt werden, eine entsprechende Qualifizierung erhalten und durch ein starkes betriebliches Gesundheitsmanagement sowie eine altersgerechte Gestaltung der Arbeit reaktiviert werden. Das umfassende Fachwissen und langjährige Berufserfahrung älterer Arbeitnehmer:innen und die Dynamik der jüngeren Beschäftigten sind eine wertvolle Kombination auf dem Fachkräftemarkt.
Die Zuwanderung von Fachkräften aus dem Ausland ist ein großer Hebel.
Fachkräfte können allerdings nur dann gezielt im Ausland angeworben werden, wenn die rechtlichen Rahmenbedingungen stimmen z.B. Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis.
Fast 180.000 Menschen mit Schwerbehinderung würden laut Agentur für Arbeit gerne arbeiten und sind bereits überdurchschnittlich gut qualifiziert. Hier gilt es vor allem, hochgradig individuelle Qualifizierungsangebote zu machen, um Menschen mit Behinderung zu Fachkräften weiterbilden zu können.
Das Potenzial bei Teilzeitkräften ist gewaltig. Mehr als 4,6 Millionen Menschen arbeiteten 2019 in Teilzeit davon fast 4 Millionen Frauen. Der Schlüssel, diese Teilzeitkräfte zur Aufstockung zu bewegen, steckt in den Arbeitszeitmodellen, die möglichst flexibel und attraktiv sein müssen.
Die Corona-Krise hat es zutage gefördert. In zahlreichen Unternehmen können Fachkräfte problemlos mobil arbeiten, arbeitsrechtlich und technisch passende Lösungen vorausgesetzt. Selbst wenn Remote Work nicht zur Regel wird, die Entwicklung hybrider Arbeitsmodelle sorgt gleichermaßen für hohe Produktivität und Motivation bei bereits vorhandenen Fachkräften.
Die Zeiten, in denen Unternehmen und Organisationen darauf warten konnten, bis sich die passenden Bewerber:innen bei ihnen melden, sind vorbei. Aktives Recruiting und ein jederzeit respektvoller Umgang mit den potenziellen neuen Fachkräften müssen selbstverständlich sein. Mit Standardabsagen und wochenlangem Schweigen im Bewerbungsprozess disqualifizieren sich Unternehmen. Doch wenn Fachkräfte für das eigene Unternehmen gewonnen werden konnten, gilt es, sie durch eine offene und wertschätzende Unternehmenskultur langfristig zu binden. Je offener und flexibler ein Unternehmen mit seinen Beschäftigten umgeht, desto größer sind die Chancen, auch in Zukunft qualifizierte Fachkräfte gewinnen zu können. Unternehmen müssen sich als attraktiver Arbeitgeber positionieren, der auf die gewünschten Fachkräfte
anziehend wirkt.
Damit ein Fachkräftemangel gar nicht erst entsteht.
Jens Eisenmann
Gründer/Inhaber und Geschäftsführer von JEControl
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